An die Stelle der Vergangenheitsbewältigung ist immer klarer die Vergangenheitsbewahrung getreten. Sie beginnt mit der Einsicht in die Unbeendbarkeit der Schuld und die Irreparabilität des Schadens, für den es keine Wiedergutmachung und Versöhnung gibt - nur die Solidarität in der Erinnerung.

RADIO-GEDENKSTUNDE an die NS-Opfer im Lager Liebenau

Newsletter vom 27.4.2020

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe FreundInnen!

RADIO-GEDENKSTUNDE an die NS-Opfer im Lager Liebenau im Rahmen der Todesmärsche ungarischer JüdInnen.

 

Radio Helsinki, Mo 27.April 2020, 17-18 Uhr in "Von unten - im Gespräch."

(Link zum Nachhören der Sendung: https://cba.fro.at/451524)

„Die Erinnerung ist wie das Wasser: Sie ist lebensnotwendig und sie sucht sich ihre eigenen Wege in neue Räume und zu anderen Menschen. Die Erinnerung ist immer konkret - sie hat Gesichter vor Augen, und Orte, Gerüche und Geräusche. Sie hat kein Verfallsdatum und sie ist nicht per Beschluss für bearbeitet oder für beendet zu erklären. “

Holocaustüberlebender Noach Flug

1)

Für heute, 27.4.2020 war die Enthüllung einer Erinnerungstafel im Maria-Cäsar Park am Grünanger mit Ansprachen offizieller VertreterInnen der Stadt, der israelitischen Kultusgemeinde, von Barbara Stelzl Marx (Ludwig-Boltzmann-Institut), Barbara Glück (Mauthausen Memorial), Energie Steiermark und unserer Gedenkinitiative geplant. Im Anschluss sollte ein digitaler Rundgang zu Punkten der Erinnerung am Grünanger präsentiert werden, danach hätte das kulturelle Rahmenprogramm mit Univ. Prof. Kerstin Feltz (Violoncello) und Lesung von ZeitzeugInnentexten (Rudi Widerhofer, Schauspielhaus Graz) im Jugendzentrum Grünanger stattgefunden. Am Vortag wäre eine Filmmatinee im KIZ RoyalKino „The End of the Neubacher Project“ mit Regisseur Marcus J. Carney in Kooperation mit dem Bund sozialistischer Freiheitskämpfer geplant gewesen.

Leider musste dieses Gedenken an die NS-Opfer des Lager Liebenau Corona bedingt abgesagt werden, es wird auf einen noch nicht absehbaren Zeitpunkt verschoben. Alternativ dazu hat die Gedenkinitiative eine virtuelle Gedenkstunde auf Radio Helsinki gestaltet. Danke an Radio Helsinki!

2)

Anlässlich der archäologischen Begleitmaßnahmen bei der Errichtung des Fundaments für die Erinnerungstafel an die Opfer des Lagers wurden im Feber des heurigen Jahres (am Beginn einer ca. 64m langen und 6m breiten Grube, die auch auf Luftbildern erkennbar ist) höchst relevante archäologische Funde gemacht. Sie reichen von persönlichen Habseligkeiten von Opfern, Resten von fast 40 Schuhen, über Essgeschirr, Kämme, Zahnbürsten, einer Broschüre bis zu einer Glasperlenkette. Es ist dringend geboten, dass diese Zone weiter archäologisch untersucht wird.

Ledersohlen von Männer-,Frauen- und Kinderschuhen. Foto ARGIS

3)

Aus uns nicht bekannten Gründen wurde der Beginn der Bauarbeiten zur Errichtung der Wohnbauten auf den Überresten des Lagers (geplant war das Frühjahr bzw. der Herbst 2019) verschoben, sodass diesbezüglich keine Interventionen von unserer Seite notwendig waren. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass nunmehr nicht mehr das Wohnungsamt (Leitung Mag. Uhlmann), sondern die Immobilienabteilung der Stadt Graz für die Koordination der notwendigen archäologischen Begleitmaßnahmen zuständig sein wird.

4)

Auf Grund der Initiative von Kulturamtsleiter Michael Grossmann wurde bereits im Sommer 2019 eine Roundtable-Gruppe von ExpertInnen ins Leben gerufen, die sich konkreter Planungsschritte zur Erinnerungsarbeit vor Ort im ehemaligen Lagerbereich annimmt.

Mit dabei u.a. die Gedenkinitiative, das Ludwig Boltzmann-Institut, Mauthausen Memorial, Institut für Kunst im öffentlichen Raum, Bundesdenkmalamt und Abteilung Grünraum. Es fanden bereits mehrere konstruktive Treffen statt.

  • Von unserer Seite wurde kritisiert, dass der unter Denkmalschutz gestellte Keller mit Graffiti französischer Zwangsarbeiter in der Andersengasse verrottet und mittlerweile zugemüllt ist, dazu gibt es auch Fotos.
  • Zum Thema Opfersuche ist die Gedenkinitiative aufgefordert, Verdachtszonen, wo noch mögliche NS-Opfer verscharrt sein könnten, zur Verfügung zu stellenDie Opfersuche wird auch von Dr. Barbara Glück vom Mauthausen Memorial unterstützt: “Man müsse sich der Situation stellen, denn wenn man dies nicht aufklärt, helfen auch keine Skulptur oder Gedenktafel.“

Alle sind sich einig, dass man die Vergangenheit des Gebiets nicht „verstecken“ könne und sich ihr stellen müsse: „Der Sache auf den Grund gehen!“

5)

Dankenswerterweise hat das Mauthausen Memorial seinen Artikel zur Geschichte des Lager Liebenau aus dem Jahr 2017 von Historiker Christian Dürr um neue Fakten seit der archäologischen Ausgrabungen von Bunkerresten, Zwangsarbeiter-Barackenfundamenten, Teilen der Lagerstraße und mittlerweile denkmalgeschützten Graffiti von Opfern und Tätern erweitert:

" ... fordern wir ein, dass aktuelle und künftige Umgestaltungen des ehemaligen Lagerareals auf die belastete Geschichte des Ortes entsprechend Bedacht nehmen. Dies betrifft insbesondere die Sicherung noch bestehender physischer Überreste des Lagers sowie eine entsprechende Kennzeichnung des Areals unter Bezugnahme auf dessen Geschichte und unter dem Gesichtspunkt der Würdigung der Opfer. Ebenso plädieren wir eindringlich dafür, an sämtlichen Verdachtszonen möglicher Massengräber entsprechende Sondierungen durchzuführen. Es muss verhindert werden, dass allfällige Bau- und Gestaltungsmaßnahmen auf den Gräbern von in Graz Liebenau ermordeten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern erfolgen. Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen hat daher der Stadt Graz und anderen in dieser Sache relevanten Akteuren das Angebot unterbreitet, ihre Expertise im Umgang mit historisch sensiblen Orten in den Prozess der Schaffung eines Gedenkortes für die Opfer des Zwangsarbeitslagers Graz Liebenau einzubringen."

Den gesamten Artikel finden Sie unter: https://www.mauthausen-memorial.org/de/Aktuell/Das-ehemalige- verdraengten-zeitgeschichtlichen-Thema

 

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen Gesundheit und Wohlbefinden!

Rainer und Uschi Possert für die Gedenkinitiative Graz-Liebenau

28. April 2020