An die Stelle der Vergangenheitsbewältigung ist immer klarer die Vergangenheitsbewahrung getreten. Sie beginnt mit der Einsicht in die Unbeendbarkeit der Schuld und die Irreparabilität des Schadens, für den es keine Wiedergutmachung und Versöhnung gibt - nur die Solidarität in der Erinnerung.

Gedenkfeier „Lager Liebenau“ am 4.4.2019

Gedenken als demokratisches Anliegen

„Wer identifiziert Gedächtnisorte, die Vergessen verhindern, wer bestimmt und markiert sie?“ fragt Rainer Possert, Obmann der Gedenkinitiative Graz -Liebenau nach seinem Gedenk-Rundgang mit über 200 TeilnehmerInnen durch das ehemalige Zwangsarbeiter-Lagergebiet am Grünanger und zitiert in seiner Ansprache die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assman:

„Es ist ja keineswegs so, dass diese Orte uns anrufen: 'Hier bin ich; ich bin Zeuge und Mahnmal einer Geschichte, die nicht vergessen werden darf!' Wenn man sich um diese Orte nicht kümmert, geht das Leben über sie hinweg und verwischt die Spuren. …“

„Wir befinden uns heute an einem Ort, wo im Sommer 2017 bei der Errichtung des Jugendzentrums Graffiti von vermutlich jüdischen Opfern und ukrainischer Waffen SS in einem Luftschutzgang direkt unter uns aufgefunden wurden,“ betont Possert.

„Gegenüber, unter den Tennisplätzen der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten befanden sich große Gruben, von denen es in Zeitzeugenberichten u.a. heißt: „... die Juden wurden zur Schottergrube gebracht und dort erschossen. Am nächsten Morgen lagen dann da immer Schuhe und Kleider.“ 

Seit 2012 bemüht sich die Gedenkinitiative um die Suche und Bergung von Opfern, Kennzeichnung des ehemaligen Lagers als Gedenkort und die Errichtung einer Gedenkstätte.  „In dieser doch relativ kurzen Zeit ist es uns gelungen, den Holocaust in Graz in das kollektive Gedächtnis einzuschreiben. Durch die Ausstellung im GrazMuseum haben auch die Stadt Graz und das Ludwig-Boltzmann Institut einen großen Beitrag zur Erinnerung geleistet.

Univ.Prof. Peter Gstettner vom Mauthausen Komitee Kärnten/Koroska spricht von den namenlosen, auf den Todesmärschen und in Lagern ermordeten Menschen, die als anonyme Opfer der Kriegswirren im schwarzen Loch des gesellschaftlich zurechtgeschneiderten Gedächtnisses versanken.  „Verbrechensorte und Massengräber bekamen keinen Status als Gedenk- und Erinnerungsorte, sondern wurden als Brachland und später als unbelastetes Bauerwartungsland ausgewiesen.“

„Da gibt es im Herzen Europas eine Kulturhauptstadt,“ so Gstettner in seiner Gedenkansprache, „die sich in der NS-Zeit mit dem Attribut „Stadt der Volkserhebung“ schmückte und sich nun im 21. Jahrhundert dahingehend anstrengt, dass das Areal, in dem sich das NS-Lager Liebenau befand, zu einem ganz normalen städtischen Wohngebiet erklärt wird - gerade so, als wäre es „normal“, den dort verscharrten Toten auch noch das letzte Ehrenzeichen, nämlich einen würdigen Gedenkort zu verweigern.

Und all dies, nachdem HistorikerInnen angeblich schon vor mehr als 15 Jahren wussten oder vermuteten, dass sich hier immer noch Mordopfer unter der Erde befinden, nachdem Augenzeugen hinter vor gehaltener Hand schon seit langem von ihren Beobachtungen berichteten, nachdem ArchäologInnen und Leute vom Bundesdenkmalamt vor noch nicht so langer Zeit, Spuren des Lagers wissenschaftlich „gesichert“ haben.

Und er gibt noch etwas zu bedenken: „Es darf bei einer Erinnerungsarbeit dieser Tragweite nicht um die Profilierung von wissenschaftlichen Disziplinen gehen, auch nicht um die Profilierung von persönlichen politischen Karrieren. Ich sage das auch, weil einer der Hauptakteure in der hiesigen Gedenkinitiative, mein Kollege Rainer Possert als Nicht-Historiker den ganzen Bewusstseinsprozess hier vor Ort - vor dem Hintergrund seines professionellen Wissens als Arzt – ganz wesentlich vorangetrieben hat und damit zu einem politischen Reibebaum im Kampf um Anerkennung versus Verweigerung von Erinnerung geworden ist. Er hat sich bei Gott etwas anderes verdient!“

Landtagspräsidentin Bettina Vollath, schon das dritte Mal in Folge Ehrengast bei unseren Gedenkveranstaltungen, spricht sich wie Hofrat Heinz Anderwald von der jüdischen Gemeinde Graz schärfstens gegen Antisemitismus und Rassismus aus, mahnte aber auch die Stadt Graz ein, sich an die Vorgaben des Denkmalschutzes für ein würdiges Gedenken zu halten.

 

Stadtrat Günter Riegler sieht ein Dilemma - moralisch-ethische Fragen betreffend: „Das Dilemma zwischen einem Weiterleben nach den Schrecken des Holocaust einerseits und dem Bedürfnis nach einem entsprechenden Gedenken andererseits.“

Er verweist auf umfassende Maßnahmen zum Gedenken, die die Stadt Graz mittlerweile eingeleitet hat: Teile der ehemaligen Ausstellung im GrazMuseum zum Lager Liebenau sollen in 4 Stelen am Grünanger gezeigt werden, „Kunst im öffentlichen Raum“ werde ein Kunstwerk zum Gedenken international ausschreiben und der denkmalgeschützte Keller in der Andersengasse 32 soll bis 2024 zu einem kleinen Museum gestaltet werden.

Seit 2012 bemüht sich die Gedenkinitiative um die Suche und Bergung von Opfern, Kennzeichnung des ehemaligen Lagers als Gedenkort und die Errichtung einer Gedenkstätte. In dieser doch relativ  langen Zeit ist es den Holocaust in Graz in das kollektive Gedächtnis einzuschreiben. Durch die Ausstellung im GrazMuseum haben die  Stadt Graz und das Ludwig-Boltzmann Institut unter der Leitung von Professorin Stelzl-Marx einen großen Beitrag zur Erinnerung geleistet.

Aber immer noch werden wissentlich oder unwissentlich und gesetzeswidrig letzte Zeugnisse des Lagers zerstört: So wurden allein ab Dez. 2018 (also vor 4 Monaten) - unter der politischen Verantwortlichkeit von Stadtrat Eustacchio 6 Baracken abgerissen, und ohne die verpflichtende archäologische Begleitung die historischen Fundamente entfernt und die gesamten Grundstücke aufgegraben.  

Pressemeldungen sowohl in der Kleinen Zeitung als auch im Standard bestätigen die Notwendigkeit des öffentlichen Diskurses im Gedenkprozess und vor allem aber die Notwendigkeit von Transparenz gegenüber der Zivigesellschaft.

Wir bedanken uns bei allen, die gekommen sind und damit auch ein Zeichen gegen Rassismus, Intoleranz und Antisemitismus gesetzt haben. Dank an Schauspieler Wolfgang Dobrowsky und Blechbläser Christoph Wundrak, die die Veranstaltung szenisch und musikalisch begleitet haben, Rainer Possert für die Fotos der denkmalgeschützten Graffitis und zu den archäologischen Ausgrabungen am Grünanger.

16. April 2019