An die Stelle der Vergangenheitsbewältigung ist immer klarer die Vergangenheitsbewahrung getreten. Sie beginnt mit der Einsicht in die Unbeendbarkeit der Schuld und die Irreparabilität des Schadens, für den es keine Wiedergutmachung und Versöhnung gibt - nur die Solidarität in der Erinnerung.

2007: Vortrag: „Erbkranke“ und „Ostarbeiterinnen“ zwischen nationalsozialistischer Politik und gynäkologischer Forschung

Am 26. November 2007 fand ein Vortrag von Dr. Gabriele Czarnowski vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Medizinische Universität Graz statt.                                     

Zusammenfassung des Vortrags:

Während der NS-Zeit sollte das Ziel der „Rassenreinheit“ u. a. mit den Methoden der Zwangsabtreibungen und Zwangssterilisationen erreicht werden, Hauptzielgruppe „Erbkranke“ und „Ostarbeiterinnen“. Der Großteil der Abtreibungen wurde in „Ostarbeiterbaracken“ durchgeführt, aber auch im klinischen Bereich Bisher bekannt ist, dass Innsbruck, Tübingen und München  Abtreibungen an Zwangsarbeiterinnen verweigerten. Zwangssterilisationen nach dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ fanden an allen Universitätsfrauenkliniken statt. Für die Ärzte bestand keine gesetzliche Verpflichtung zur Sterilisation, Ärzte hatten Entscheidung über die Durchführung – es kam jedoch kaum zu Ablehnung.

September 1939 – Kundmachung über eugenische Zwangssterilisationen, eugenische Abtreibungen und Eheverbote, Gesetz trat 1940 in Kraft. Mitte/Ende 1940 wurde in Österreich mit den Zwangssterilisationen begonnen, deutsche Kollegen hatten damit Erfahrung, es lagen Publikationen vor. Technisch waren die Eingriffe kein Problem, neu war der Zwang, mit dem sie durchgeführt wurden. In Deutschland vor 1933  bereits Eingriffe an „Minderwertigen“ bzw. in wohlmeinender Absicht ohne Wissen der Patientinnen durchgeführte Sterilisationen  im Zusammenhang mit erwünschten Schwangerschaftsabbrüchen. Für Österreich noch nicht untersucht. Thematisiert wurde, wie man mit PatientInnen vor und nach der Operation umgeht, wie man Widerstände bricht usw. Zuerst wurde versucht, das Einverständnis der Patientin zu gewinnen (zum  „Wohl des Volkes“ und eigener Nachkommenschaft); wenn unzugänglich, anfangs Diagnose der Inoperabilität oder Einweisung in die Psychiatrie, später List, Gewalt und Betrug (Verwendung von Opiaten; 6Rektalnarkose, Inhalationsnarkose usw.). Neben psychischen Folgen waren  u.a. Blutungen, Gewebsverwachsungen,  Infektionen der Bauchhöhle, Darmverschluss mögliche Folgen der Eingriffe, die Zahl der Todesfälle nach den Eingriffen stieg. Ab 1941 wurden dann Sterilisationen mit Röntgen- oder Radiumstrahlen durchgeführt, die extreme körperliche und psychische Schäden zur Folge hatten (Kastration statt Sterilisation), Folgen wurden bewusst in Kauf genommen.

Zweiter Teil des Vortrags – schwangere Sterilisandinnen und Zwangsarbeiterinnen als „Forschungsobjekte“.

Schwangere Zwangsarbeiterinnen und „Erbkranke“ als besondere Patientinnen (gesund, jung, schwanger, in großer Zahl) – wurden neben dem Staatsauftrag  auch für Forschungen aus Eigeninteresse der beteiligten Ärzte verwendet.u.a. Aufruf zur Überprüfung der neuen Theorie von Knaus/Ogino bei der Sterilisationsoperation, Forschung zur Bewegung der Eileiter im Menstruationszyklus

Graz: Ehrhardt, Vorstand der Frauenklinik: an mindestens 4 schwangeren Frauen, die zu Sterilisation und Schwangerschaftsabbruch aus gesundheitlichen Gründen (TBC) eingewiesen worden waren, wurden  endokrinologische Versuche durchgeführt; Vielzahl unnötiger und Schäden hervorrufender Operationen wurden zu Übungszwecken an „Ostarbeiterinnen“ durchgeführt, da Ehrhardts Operationstechniken als unzureichend kritisiert wurden (Schuchardtschnitt, Techniken in Krebsoperationen,..); mehrere Publikationen zu Fetografie mit Hinweis auf zahlreiche  Röntgenaufnahmen von Feten im Mutterleib – bei „rassischen“ Abtreibungen  wurde zusätzlich Röntgenkontrastmittel gespritzt; Notizbuch von Dr. Hoff dokumentiert „Aufnahme Russenfeten, Röntgenmaterial enorm“

Zahlen:  Lt. Aussage Oberarzt Elert: um die 1000 Abtreibungen wurden in Graz durchgeführt, Rechercheergebnisse: 500 eindeutige Schwangerschaftsabbrüche, 150 Aborte; ungefähr 650 – 700 Eingriffe, davon 200 von Dr. Hoff, 100 von Assistenzärzten, übrige 350 – 400 Klinikvorstand Ehrhardt innerhalb 2 Jahren; jeder Eingriff wurde von Gutachterstelle der Ärztekammer bewilligt.

Teilweise Kooperation bei Ehrhardts fetografischer Forschung mit: Dr. Bayer (Frauenklinik), Prof. Dr. Pischinger (Histologie /Embryologie Univ. Graz), Prof. Dr. Gorbach (technische Hochschule Graz).

Oberarzt Dr. Hoff rettete durch Fälschung von Papieren oder Umlegung auf seine Station Zwangsarbeiterinnen vor den Versuchen des Chefs, führte aber neben den Abtreibungen auch selbst Versuche durch, die im Gegensatz zu Prof. Dr. Ehrhardts „nur“ Stunden dauerten und keine dauernden Gesundheitsschäden verursachten. Forschungsinteresse: Bewegungen der Gebärmutter im Zyklus, bei Schwangerschaft, Geburt,..

 

14. Februar 2017