An die Stelle der Vergangenheitsbewältigung ist immer klarer die Vergangenheitsbewahrung getreten. Sie beginnt mit der Einsicht in die Unbeendbarkeit der Schuld und die Irreparabilität des Schadens, für den es keine Wiedergutmachung und Versöhnung gibt - nur die Solidarität in der Erinnerung.

Bericht Gedenkfeier 2023

Dr. Rainer Possert, Obmann der Gedenkinitiative, rief in seiner Begrüßung kurz die historischen Fakten in Erinnerung und mahnte: „Gedenken besteht ja nicht nur darin, die Opfer zu betrauern, sondern beinhaltet auch, den Dingen auf den Grund zu gehen, nach der Wahrheit zu suchen, eine Aufgabe die eigentlich der Justiz zukäme, da ja Mord nicht verjährt, Massenmord schon gar nicht.“

Stadtrat Robert Krotzer, in Vertretung von Bürgermeisterin Elke Kahr verwies eindringlich darauf, Ausgrenzung, Hass und Rassismus entschieden entgegenzutreten: „Wir wollen die Erinnerungen wahren und sichtbar machen. Denn wir dürfen eines nie vergessen und ich darf mit Bert Brecht gemahnen: „Der Schoßist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“

 

Knochenfunde 1991 und 2021 am Grünanger/ Pascale Brandstätter

Die beiden Skelette, die beim Bau des Kindergartens in der Andersengasse im Jahr 1991 und Knochen, die beim Neubau von Sozialwohnungen 2020/21 in der Pichlergasse am Grünanger geborgen worden waren, wurden einer weiteren Untersuchung seitens des Archäologen Pascale Brandstätter unterzogen.

„Jene Knochen beim Kindergarten lagen in einer Tiefe von 1,40m und waren von Schotter und Erde überdeckt. Der Baggerfahrer beschreibt in seiner Zeugenaussage von 1991, dass die Knochen von Wurzeln überwachsen waren.“ Das bedeute, so der Archäologe, dass an dieser Stelle - nach Verscharren der Leichen - ein Baum gepflanzt wurde. Beim ersten Skelett handle es sich um einen ca. 1,65 m großen Mann mittleren Alters, an dessen Beinknochen gräulich-schwarze Verfärbungen dokumentiert sowie schwarzer Stoff und Lederriemenreste erkennbar waren. Die gräulich-schwarzen Verfärbungen der Knochen könnten auf einen Brand zurückzuführen sein, eventuell hervorgerufen durch einen Fliegerbombenabwurf.

Das zweite Skelett wurde einer Frau zugeordnet, fehlende Oberkieferzähne und rückgebildete Zahnfächer lassen, so Brandstätter, auf Vitaminmangel und Unterernährung schließen, weitere Indizien, dass es sich bei den Toten um Lagerinsassen und Kriegstote handle.

Bei den Knochenfunden 2021 während der Errichtung von Wohnbauten in der Eduard Keilgasse 72 handle es sich um ein fachmännisch aufgesägtes Schädeldach (offensichtlich im Zuge einerärztlichen Leichenöffnung) mit einem 7 mm großen Einschussloch an der Stirn, sowie Langknochen, die mittels DNA Proben ( Forensische Gerichtsmedizin Salzburg) einem männlichen Individuum zugeordnet werden konnten. Brandstätter spricht von einem Opfer eines Kriegsverbrechens, es wurde vor seinem Tod misshandelt und danach aus nächster Nähe mit einem Kleinkalibergewehr erschossen - kein schneller Tod.

Archäologische Grabung, August 2022/ Sandra Schweinzer

Während einer von uns als Gedenkinitiative initiierten Grabung, durchgeführt von der Archäologiefirma ARGIS, nahe der Erinnerungstafel am Grünanger (gefördert durch Bgm.in Elke Kahr/ Stadtrat Manfred Eber), konnte eine Vielzahl interessanter Funde gemacht werden.

Grabungsleiterin Sandra Schweinzer berichtete an Hand von Fotos über die unzähligen Hinterlassenschaften und persönlichen Gegenstände von ZwangsarbeiterInnen und Angehörigen des Todesmarsches. Die Fundliste beinhaltet:

Kämme, Zahnbürsten, Brillenbügel,

ca. 130 Schuhsohlen und Reste von Kinderschuhen,

rd. 250 Weinberg-Schneckenhäuser (lt. Ungarischer Zeitzeugenaussagen litten diese an Hunger und ernährten sich immer wieder von Schnecken) und  Süßwasser- Muscheln.

Schweinzer sprach von hunderten ausgekochten Knochen von Schlachtvieh (vornehmlich Rinder) vermutlich aus der Lagerküche (Zeitzeugenberichten: „Wir aßen eine leere Suppe“,   „… wir bekamen über den Zaun immer wieder Tierknochen als Schlachtabfällegeworfen.")

Fläschchen für medizinische Tinkturen, Desinfektionsmittel, Stärkungsmittel, Salbengläser,

Kisten voll mit Eisenteilen wie Ofentürl, Zaunreste, Drähte,

Menagegeschirr, Porzellanscherben von Tellern, Häferln Schüsseln (zum Teil mit Punzierung),

 Keramik - wie glasierte Geschirrteile, Tonscherben - und 14 Kisten voll mit Scherben von Flaschen und Glastiegeln.

Alle Fundstücke wurden von Schweinzer gelistet, ausgewertet und kategorisiert, der Endbericht über die Grabungsergebnisse wurde dem Bundesdenkmalamt übermittelt.

Die Meldedaten im Lager Liebenau und anderer Grazer Lager/ Barbara Stelzl-Marx, Martin Sauerbrey-Almasy

„Über 18.000 Meldedaten haben wir in unserem Forschungsprojekt über die NS-Zwangsarbeit in Graz ausgearbeitet,“ sagt die Institutsleiterin, Univ. Prof. Barbara Stelzl-Marx vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung in ihrem Vortrag.

„9941 Meldedaten stammen allein aus dem Lager Liebenau.“ Die Historikerin bezeichnete die Auswertungen als Kaleidoskop der Zwangsarbeit von abertausenden Einzelschicksalen. Nun könne man endlich genau sagen, woher die Menschen kamen, wie alt sie waren, welchen Berufen sie nachgingen und in welche Lager sie verschleppt wurden.

Projektleiter Martin Sauerbrey-Almasy verwies auf die Einzigartigkeit dieses umfangreichen Bestands zu ZwangsarbeiterInnen im deutschsprachigen Raum und zeigte anhand der statistischen Auswertungen, dass über 40 Nationen vertreten waren, die meisten stammten aus Italien und Russland, gefolgt von Frankreich, Kroatien, der Ukraine, Griechenland und Ungarn, ein Drittel der Verschleppten war jünger als 20 Jahre alt.           Sie arbeiteten im Steyr Daimler Puchwerk in der Rüstungsindustrie, als Hilfsarbeiter, Schlosser, Dreher, Mechaniker, Elektriker, aber auch in umliegenden landwirtschaftlichen Betrieben, sogar in einzelnen Haushalten.

 

Gedenkminuten bei der Erinnerungstafel

Nach den Vorträgen luden wir- leider bei strömendem Regen - zu einem kurzen Gedenken an die NS Opfer in den nahen Maria Cäsar Park, um bei der Erinnerungstafel Rosen niederzulegen.

Wir danken den fast 60 TeilnehmerInnen, die ins Jugendzentrum am Grünanger gekommen sind, Stadtrat Robert Krotzer als Vertreter der Stadtregierung, den ReferentInnen und den Stadtarchäologinnen, die einen Teil der archäologischen Funde hautnah präsentiert haben. Danke auch den MitarbeiterInnen des JUZ, die uns wieder die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt haben.

10. Mai 2024